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Schattenschwester

Psychothriller

Erschienen am 01.04.2008
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783453352407
Sprache: Deutsch
Umfang: 368 S.
Format (T/L/B): 2.7 x 18.7 x 11.9 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Plötzlich zückt einer ihrer Schüler ein Messer, sein Gesicht verrät, er meint es ernst. Zwar gelingt es der Lehrerin Marjolein, das Klassenzimmer unverletzt zu verlassen, doch der Angriff bringt sie aus dem Gleichgewicht: Überall wittert sie Gefahr, selbst von ihrer Familie fühlt sie sich verraten. Als sie kurze Zeit später ermordet wird, ist klar, in welche Richtung die Polizei ermitteln muss. Doch Marlieke, die trauernde Zwillingsschwester der Toten, hat ihre Zweifel – nicht zuletzt, weil sie ihre Schwester besser kannte als jeder andere …

Autorenportrait

Simone van der Vlugt, geboren 1966, eroberte mit ihrem ersten Psychothriller "Klassentreffen" die internationalen Bestsellerlisten und ist seitdem aus dem Spannungsgenre nicht mehr wegzudenken. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Alkmaar in den Niederlanden.

Leseprobe

1 Plötzlich hat er ein Messer. Er hat es so blitzschnell gezückt, so unerwartet, dass ich vor Schreck wie gelähmt bin. Ich will etwas sagen, aber die Worte bleiben mir im Hals stecken. Ich kann nur die scharfe Klinge anstarren. Sie glänzt im Sonnenlicht, das durch die Klassenzimmerfenster fällt. Ganz vorsichtig mache ich einen Schritt rückwärts, auf die offene Tür zu. Gleichzeitig kommt Bilal einen Schritt auf mich zu, sodass das Messer nach wie vor drohend auf mich gerichtet ist. Ich habe in einem Kurs gelernt, wie man mit solchen Situationen am besten umgeht. Ich sehe die Kursunterlagen vor mir, sogar die Seite mit den Tipps. Nur fällt mir kein einziger davon ein. Wahrscheinlich befolge ich die meisten Ratschläge intuitiv: Ich suche keinen Blickkontakt zu Bilal und bewege mich langsam, aber sicher zum einzigen Fluchtweg, zur Tür. Aber werde ich es schaffen? Ein kurzer Blick genügt, um zu wissen, dass ich ernsthaft in Gefahr bin. Bilal fixiert mich unnatürlich starr, wie ein Raubtier seine Beute. Er registriert jede meiner Bewegungen, angefangen vom Herzschlag, den ich bis zum Hals spüre, bis hin zu meinen unbeholfenen Schritten zur Tür. Ich versuche zu vermeiden, dass mein Gesicht irgendetwas ausdrückt, weiß aber nicht, ob mir das gelingt. Vermutlich wirke ich eher bestürzt als ängstlich. Bestürzt, weil ich das nicht habe kommen sehen. Ich hätte darauf gefasst sein müssen, gerade bei diesem Jungen. Bilal Assrouti ist einer meiner Oberstufenschüler, zu dem ich nie richtig Zugang gefunden habe. Er war schon letztes Jahr in meiner Klasse, und wir hatten immer wieder heftige Konflikte. Bilal ist ein Machotyp, der zu Hause viel zu melden hat und glaubt, das gelte auch in der Schule. Seit sieben Jahren unterrichte ich nun Niederländisch, und noch nie hatte ich das Gefühl, Problemen mit Schülern nicht gewachsen zu sein. Bilal aber gelingt es täglich aufs Neue, mir zu vermitteln, dass ich als Lehrerin versage. Dass ich bei dem scheitere, was ich so gern erreichen möchte. Seit Beginn des letzten Schuljahrs, als Bilal neu in die Klasse kam, habe ich versucht, diesen Panzer aus Abwehr und Verachtung zu durchdringen - vergeblich. Die Krönung ist nun dieses Szenario, an einem sonnigen Vormittag Ende April. Es wundert mich selbst, dass ich so ruhig bleibe. In all den Jahren, die ich nun an der Gesamtschule unterrichte, habe ich einiges erlebt, aber so etwas noch nie. Ich hätte auch nie damit gerechnet, nicht einmal bei Bilal. Trotz unserer Probleme oder, besser gesagt, trotz seiner Probleme mit mir als weiblicher Lehrkraft, hätte ich nie gedacht, dass er ein Messer ziehen könnte. Aber das Messer ist da, und er kommt jetzt langsam auf mich zu. Die anderen Schüler sind mucksmäuschenstill. Ich starre das Messer an, und die Welt verengt sich zu einem Tunnel, in dem ich nur noch die lange Klinge und Bilals funkelnde Augen sehe. Ich merke, wie mein Blick vor Angst glasig wird, und die Spannung scheint sich minutenlang hinzuziehen. Wahrscheinlich sind es nur ein paar Sekunden, aber das reicht, um zu bemerken, dass ich mich ernstlich in Gefahr befinde. Der Neunzehnjährige, der mir gegenübersteht, mag zwar ein Schüler sein, aber er überragt mich um Haupteslänge, hat kräftige Arme, und an seinem Hals zuckt ein Muskel. Ein angehender Mann, in dessen Blick eine tödliche Drohung liegt. Verzweifelt versuche ich, den dichten Nebel in meinem Kopf zu durchdringen. Reden muss ich. Ihn ruhig und gelassen in ein Gespräch verwickeln. Ihm klarmachen, dass das keine Lösung ist, aber dass ich seine Gefühle durchaus ernst nehme. Nach einem trockenen Räuspern finde ich endlich meine Stimme wieder. 'Leg das Messer weg, Bilal', sage ich so ruhig wie möglich. 'Das willst du doch gar nicht, und du erreichst auch nichts damit. Warum bist du so wütend?' 'Warum ich wütend bin?', brüllt er mich an. 'Das fragst du noch, du Miststück? Hast du nicht eben mit deiner gelackten Fresse gesagt, dass ich von der Schule muss?' 'Das habe ich nicht gesagt.', fange Leseprobe